05.07.2015, 19:51
Martín Karadagián - Der Held von Buenos Aires
[Bild: http://mla-s2-p.mlstatic.com/caramelera-...2013-F.jpg]
Argentinien ist ein heute leider vergessenes Wrestling-Territorium, das aber doch einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung unseres Sports genommen zu haben scheint. Es wird vermutet, dass Vince McMahon in den Achtziger Jahren erst durch argentinisches Videomaterial auf die Idee gekommen ist, sein Wrestling-Programm familienfreundlicher gestalten, um mit bunten Charakteren, absurden Gimmicks und mit einem medien-übergreifendenden Ansatz einen neuen vielversprechenden Zuschauermarkt zu erschließen.
Martín Karadgián war der wohl bedeutendste Wrestler und Promoter in der Geschichte des südamerikanischen Landes und für die Argentinier eine ähnlich populäre Gestalt, wie es El Santo in Mexiko, Hulk Hogan in den USA und Rikidozan in Japan gewesen sind. Er erblickte im Jahr 1922 als Sohn eines armenischen Einwanders in Buenos Aires das Licht der Welt. Sein Vater war einige Jahre zuvor vor dem im osmanischen Reich stattfindenden Völkermord über Spanien nach Argentinien geflohen, wo er eine Einheimische ehelichte. Die Familie lebte in armen Verhältnissen und Martíns Vater ließ seine Unzufriedenheit wohl gewalttätig an seinen Kindern aus.
Im Alter von 18 Jahren begann Karadagián im Gimnasio Luna Park, dem Zentrum der argentinischen Wrestling-Welt, ein Training als Luchador, angeblich war er in seiner Jugend auch erfolgreicher Amateurringer im griechisch-römischen Stil gewesen. Das argentinische Wrestling war bereits seit einigen Jahrzehnten etabliert und die Federación Catch de Argentina veranstaltete mehrfach in der Woche ihre Shows. Dort lernte der im Vergleich zu den übrigen Wrestlern eher untersetzte und leichte Martín Karadagián als Undercard-Wrestler sein Handwerk und lernte mit der Zeit, seine körperlichen Nachteile mit seinem Sinn für Entertainment auszugleichen. Er entwickelte ein interessantes Heel-Gimmick, das von den Zuschauern immer mehr angenommen wurde. Besonders der armenische Bevölkerungsanteil vergötterte Karadagián, sodass er schließlich zum Top Heel des Territoriums aufstieg. Er machte ein kleines Vermögen, das er jedoch in feinster Ric Flair-Manier ständig verprasste.
1956 beschloss der bis dahin wichtigste Wrestler Argentiniens, Man Mountain Zelezniak, die Krone weiter an Karadagián zu reichen. In einem großen Fehdenabschluss besiegte ihn Karadagián in einem Beard vs. Beard Match, Zelezniaks Gesichtsbehaarung wurde anschließend abgeschoren. 1957 traf Martín Karadagián in einem vielbeachteten Kampf auf den damals berühmten Boxer José Gatica. Dieser entschied während des Kampfes, die Absprachen nicht einzuhalten und Karadagián mit echten Schlägen einzudecken. Karadagián fackelte nicht lange und brach Gatica den Knöchel.
In den 50er Jahren wurde Pro Wrestling wie in anderen Ländern auch zum TV-Phänomen. Karadagián hatte allerdings eine andere Vision von einem interessanten Produkt, als es dort bisher angeboten wurde. Er begann eine "Fehde" mit einem bekannten Comedian namens Alberto Olmedo, der einen Sendeplatz auf einem unabhängigen kleinen Sender bereitstellen konnte. Vor 20.000 Zuschauern unterlag Karadagián im Jahr 1961 seinem "Rivalen" in einer der seltenen TV-Niederlagen seiner Karriere. Die Kritiken von Wrestling-Experten war verheerend ... doch die Show selbst ein finanzieller Erfolg!
Der TV-Sender Kanal 9 war so beeindruckt, dass man Karadagián bat, eine regelmäßige Wrestling-Show auf die Beine zu stellen. Im Jahr 1962 debutierte schließlich die bahnbrechende Sendung Titanes en el Ring. Karadagián hatte gelernt, dass Mainstream-Bekanntheit der Schlüssel zum Erfolg zu sein schien, also spielte er (wie viele damalige Wrestler in Lateinamerika) in vielen Filmen mit, die Kanal 9 produzierte. Seinem etwa 30-Mann starken Wrestler-Kader verpasste Karadagián unerhörte Gimmicks, die aber merkwürdigerweise das argentinische Wrestling nicht zu einer Lachnummer verkommen ließen, sondern einen massiven Zuschauerzustrom verursachten. Es wurde ein Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt, nicht mehr die Konkurrenz zweier mal mehr oder weniger sympathischer Sportler. Frankensteins Monster, Pepino der Clown, Geheimagent 009, Doctor Karate und La Momia, die legendäre Wrestling-Mumie, bevölkerten fortan den Ring.
Im Jahr 1970 wurde Karadagián gerichtlich zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt, weil er einen Ingenieur verprügelt haben soll, den er für einen finanziellen Schaden verantwortlich machte. Nach neun Monaten (und einer gesalzenen "Ich bin unschuldig"-Pressekampagne) wurde er vorzeitig entlassen und von den begeisterten argentinischen Zuschauern mit offenen Armen wieder empfangen. Während seiner Zeit im Gefängnis war Karadagián nicht untätig und hatte neue Ideen für Titanes en el Ring entwickelt, die einen noch viel stärkeren Boom auslösen sollten.
[Bild: http://www.bureaucreativo.com/img/serv/titanes1.jpg]
Der zuschauerstärkere Kanal 13 übernahm Karadagiáns Show, die ab 1972 zum beliebtesten argentinischen TV-Programm aufstieg. Zum ersten Mal erhielten irgendwo auf der Welt die Wrestler eigens für sie produzierte Entrance Themes, hier als Beispiel das Lied des roten Ritters: Caballero Rojo. Die dazugehörige Langspielplatte wurde ein voller Erfolg. T-Shirts, Puzzles, Poster, Malbücher, Mini-Figuren ... Karadagián ließ keine Möglichkeit ungenutzt, seine Show zu promoten, er war damit dem nordamerikanischen Wrestling weit voraus, das nur zögerhaft solche Möglichkeiten nutzte.
Die Charaktere von Titanes en el Ring wurden immer abgedrehter. Don Quixote und Sancho Pansa, Wikinger, Hippies, Söldner, Scheichs und Höhlenmenschen wurden vorgestellt und Yolanka , die Weltraumkreatur, flog in einem kleinen Ufo durch die Arena. Die größten Attraktionen blieben allerdings Martín Karadagián selbst und sein großer Widersacher, die dämonische Mumie, die1972 ihr bedeutendstes Match gegeneinander bestritten. Hier ist ein späteres Match der beiden zu sehen. Die wahre Indentität von La Momia war Teil der öffentlichen Diskussion, Journalisten wurden sogar auf sie angesetzt, in politischen Talkshows wurde die Popularität der Mumie mit der von Juan Perón verglichen. Auch der Heel-Ringrichter William Boo wurde Bestandteil der argentinischen Popkultur. 1973 kam dann sogar ein abendfüllender Film in die Kinos, in denen die Wrestler von Titanes en el Ring auftraten.
[Bild: http://calaveralma.com.ar/wp-content/upl...artin4.jpg]
1973 endete der Boom abrupt. Eine Konkurrenzliga hatte sich gegründet und luchste ihm viele [lexicon]Stars[/lexicon] ab. Zwar kehrten sie 1974 wieder zu ihm zurück, doch Titanes en el Ring sollte nie wieder so erfolgreich werden, auch weil der Wrestler, der die Mumie spielte, tödlich verunglückte. Neue Mumien wurden eingeführt, die aber nicht an die Aura des Originals herankamen. Bis 1988 lief die Show mehr oder weniger erfolgreich, Karadagián wurde älter, blieb aber bis 1984 der Top-Star, bis ihm wegen seiner Diabetes-Erkrankung ein Bein amputiert werden musste. In der letzten Sendung, bevor die Show eingestellt wurde, kam er einbeinig mit einem Krückstock zum Ring, warf diesen weg und erklärte, dass er ihn nicht brauche, da seine Fans ihn lebendig und gesund fühlen ließen. 1991 starb Karadagián an der Krankheit.
Vince McMahon soll "Titanes en el Ring" bei einer Reise nach Japan gesehen haben, es ist aber auch möglich, dass er die Show in den Vereinigten Staaten verfolgt hat, denn in den Siebziger Jahren wurden ältere Tapes dort ausgestrahlt. Auch Antonio Peña, der Gründer der mexikanischen AAA, soll sich Inspiration bei der argentinischen Liga geholt haben. Zahlreiche andere Formate in Südamerika kopierten Karadagiáns Stil.
Ganz in Vergessenheit geraten sind Martín Karadagián und Titanes en el Ring in der Gegenwart nicht. Der Lucha Libre-Experte Steve Sims schrieb eine aufschlussreiche Kurzbiographie über Karadagían, aus der ich die meisten Informationen über sein Leben für diesen Text entnommen habe. Vor einigen Jahren wurde Martín Karadagián in die Ruhmeshalle des Wrestling Observer Newsletters aufgenommen.
[Bild: http://mla-s2-p.mlstatic.com/caramelera-...2013-F.jpg]
Argentinien ist ein heute leider vergessenes Wrestling-Territorium, das aber doch einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung unseres Sports genommen zu haben scheint. Es wird vermutet, dass Vince McMahon in den Achtziger Jahren erst durch argentinisches Videomaterial auf die Idee gekommen ist, sein Wrestling-Programm familienfreundlicher gestalten, um mit bunten Charakteren, absurden Gimmicks und mit einem medien-übergreifendenden Ansatz einen neuen vielversprechenden Zuschauermarkt zu erschließen.
Martín Karadgián war der wohl bedeutendste Wrestler und Promoter in der Geschichte des südamerikanischen Landes und für die Argentinier eine ähnlich populäre Gestalt, wie es El Santo in Mexiko, Hulk Hogan in den USA und Rikidozan in Japan gewesen sind. Er erblickte im Jahr 1922 als Sohn eines armenischen Einwanders in Buenos Aires das Licht der Welt. Sein Vater war einige Jahre zuvor vor dem im osmanischen Reich stattfindenden Völkermord über Spanien nach Argentinien geflohen, wo er eine Einheimische ehelichte. Die Familie lebte in armen Verhältnissen und Martíns Vater ließ seine Unzufriedenheit wohl gewalttätig an seinen Kindern aus.
Im Alter von 18 Jahren begann Karadagián im Gimnasio Luna Park, dem Zentrum der argentinischen Wrestling-Welt, ein Training als Luchador, angeblich war er in seiner Jugend auch erfolgreicher Amateurringer im griechisch-römischen Stil gewesen. Das argentinische Wrestling war bereits seit einigen Jahrzehnten etabliert und die Federación Catch de Argentina veranstaltete mehrfach in der Woche ihre Shows. Dort lernte der im Vergleich zu den übrigen Wrestlern eher untersetzte und leichte Martín Karadagián als Undercard-Wrestler sein Handwerk und lernte mit der Zeit, seine körperlichen Nachteile mit seinem Sinn für Entertainment auszugleichen. Er entwickelte ein interessantes Heel-Gimmick, das von den Zuschauern immer mehr angenommen wurde. Besonders der armenische Bevölkerungsanteil vergötterte Karadagián, sodass er schließlich zum Top Heel des Territoriums aufstieg. Er machte ein kleines Vermögen, das er jedoch in feinster Ric Flair-Manier ständig verprasste.
1956 beschloss der bis dahin wichtigste Wrestler Argentiniens, Man Mountain Zelezniak, die Krone weiter an Karadagián zu reichen. In einem großen Fehdenabschluss besiegte ihn Karadagián in einem Beard vs. Beard Match, Zelezniaks Gesichtsbehaarung wurde anschließend abgeschoren. 1957 traf Martín Karadagián in einem vielbeachteten Kampf auf den damals berühmten Boxer José Gatica. Dieser entschied während des Kampfes, die Absprachen nicht einzuhalten und Karadagián mit echten Schlägen einzudecken. Karadagián fackelte nicht lange und brach Gatica den Knöchel.
In den 50er Jahren wurde Pro Wrestling wie in anderen Ländern auch zum TV-Phänomen. Karadagián hatte allerdings eine andere Vision von einem interessanten Produkt, als es dort bisher angeboten wurde. Er begann eine "Fehde" mit einem bekannten Comedian namens Alberto Olmedo, der einen Sendeplatz auf einem unabhängigen kleinen Sender bereitstellen konnte. Vor 20.000 Zuschauern unterlag Karadagián im Jahr 1961 seinem "Rivalen" in einer der seltenen TV-Niederlagen seiner Karriere. Die Kritiken von Wrestling-Experten war verheerend ... doch die Show selbst ein finanzieller Erfolg!
Der TV-Sender Kanal 9 war so beeindruckt, dass man Karadagián bat, eine regelmäßige Wrestling-Show auf die Beine zu stellen. Im Jahr 1962 debutierte schließlich die bahnbrechende Sendung Titanes en el Ring. Karadagián hatte gelernt, dass Mainstream-Bekanntheit der Schlüssel zum Erfolg zu sein schien, also spielte er (wie viele damalige Wrestler in Lateinamerika) in vielen Filmen mit, die Kanal 9 produzierte. Seinem etwa 30-Mann starken Wrestler-Kader verpasste Karadagián unerhörte Gimmicks, die aber merkwürdigerweise das argentinische Wrestling nicht zu einer Lachnummer verkommen ließen, sondern einen massiven Zuschauerzustrom verursachten. Es wurde ein Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt, nicht mehr die Konkurrenz zweier mal mehr oder weniger sympathischer Sportler. Frankensteins Monster, Pepino der Clown, Geheimagent 009, Doctor Karate und La Momia, die legendäre Wrestling-Mumie, bevölkerten fortan den Ring.
Im Jahr 1970 wurde Karadagián gerichtlich zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt, weil er einen Ingenieur verprügelt haben soll, den er für einen finanziellen Schaden verantwortlich machte. Nach neun Monaten (und einer gesalzenen "Ich bin unschuldig"-Pressekampagne) wurde er vorzeitig entlassen und von den begeisterten argentinischen Zuschauern mit offenen Armen wieder empfangen. Während seiner Zeit im Gefängnis war Karadagián nicht untätig und hatte neue Ideen für Titanes en el Ring entwickelt, die einen noch viel stärkeren Boom auslösen sollten.
[Bild: http://www.bureaucreativo.com/img/serv/titanes1.jpg]
Der zuschauerstärkere Kanal 13 übernahm Karadagiáns Show, die ab 1972 zum beliebtesten argentinischen TV-Programm aufstieg. Zum ersten Mal erhielten irgendwo auf der Welt die Wrestler eigens für sie produzierte Entrance Themes, hier als Beispiel das Lied des roten Ritters: Caballero Rojo. Die dazugehörige Langspielplatte wurde ein voller Erfolg. T-Shirts, Puzzles, Poster, Malbücher, Mini-Figuren ... Karadagián ließ keine Möglichkeit ungenutzt, seine Show zu promoten, er war damit dem nordamerikanischen Wrestling weit voraus, das nur zögerhaft solche Möglichkeiten nutzte.
Die Charaktere von Titanes en el Ring wurden immer abgedrehter. Don Quixote und Sancho Pansa, Wikinger, Hippies, Söldner, Scheichs und Höhlenmenschen wurden vorgestellt und Yolanka , die Weltraumkreatur, flog in einem kleinen Ufo durch die Arena. Die größten Attraktionen blieben allerdings Martín Karadagián selbst und sein großer Widersacher, die dämonische Mumie, die1972 ihr bedeutendstes Match gegeneinander bestritten. Hier ist ein späteres Match der beiden zu sehen. Die wahre Indentität von La Momia war Teil der öffentlichen Diskussion, Journalisten wurden sogar auf sie angesetzt, in politischen Talkshows wurde die Popularität der Mumie mit der von Juan Perón verglichen. Auch der Heel-Ringrichter William Boo wurde Bestandteil der argentinischen Popkultur. 1973 kam dann sogar ein abendfüllender Film in die Kinos, in denen die Wrestler von Titanes en el Ring auftraten.
[Bild: http://calaveralma.com.ar/wp-content/upl...artin4.jpg]
1973 endete der Boom abrupt. Eine Konkurrenzliga hatte sich gegründet und luchste ihm viele [lexicon]Stars[/lexicon] ab. Zwar kehrten sie 1974 wieder zu ihm zurück, doch Titanes en el Ring sollte nie wieder so erfolgreich werden, auch weil der Wrestler, der die Mumie spielte, tödlich verunglückte. Neue Mumien wurden eingeführt, die aber nicht an die Aura des Originals herankamen. Bis 1988 lief die Show mehr oder weniger erfolgreich, Karadagián wurde älter, blieb aber bis 1984 der Top-Star, bis ihm wegen seiner Diabetes-Erkrankung ein Bein amputiert werden musste. In der letzten Sendung, bevor die Show eingestellt wurde, kam er einbeinig mit einem Krückstock zum Ring, warf diesen weg und erklärte, dass er ihn nicht brauche, da seine Fans ihn lebendig und gesund fühlen ließen. 1991 starb Karadagián an der Krankheit.
Vince McMahon soll "Titanes en el Ring" bei einer Reise nach Japan gesehen haben, es ist aber auch möglich, dass er die Show in den Vereinigten Staaten verfolgt hat, denn in den Siebziger Jahren wurden ältere Tapes dort ausgestrahlt. Auch Antonio Peña, der Gründer der mexikanischen AAA, soll sich Inspiration bei der argentinischen Liga geholt haben. Zahlreiche andere Formate in Südamerika kopierten Karadagiáns Stil.
Ganz in Vergessenheit geraten sind Martín Karadagián und Titanes en el Ring in der Gegenwart nicht. Der Lucha Libre-Experte Steve Sims schrieb eine aufschlussreiche Kurzbiographie über Karadagían, aus der ich die meisten Informationen über sein Leben für diesen Text entnommen habe. Vor einigen Jahren wurde Martín Karadagián in die Ruhmeshalle des Wrestling Observer Newsletters aufgenommen.