Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Geschichte des Amerikanischen Wrestlings - 1950er/60er Jahre
#1
Geschichte des Amerikanischen Wrestlings - 1950er und 60er Jahre


Teil 1: Fred Kohler und die Fernsehrevolution

Seit den primitiven Anfängen hat das Amerikanische Wrestling eine erstaunliche Entwicklung durchlebt. Mehr noch stieg das Interesse zur Mitte des 20. Jahrhunderts, als immer neue Gesichter die Ringbühne betraten. Es ist eine Zeit des Aufbaus gewesen, dessen Shows mit heutigen Standards in keinsterweise mithalten kann. Was blieb waren erste kleine Schritte in Richtung Entertainment. Wrestling wird lebhafter, unterhaltsamer, farbiger und vor allem profitabler. Die alten Pioniere wie Evan Lewis sind längst in staubigen Archiven untergegangen. Amerikas letzter großer Pionier Martin Burns starb 1937 mit 75 Jahren. Einen Meilenstein erreichte dieser unglaubliche Vorzeigeathlet. Manche bezeichnen ihn noch heute als besten Wrestling-Trainer. Viele seiner einstigen Schüler kämpften weiter und hielten somit das Erbe am Leben.

Einen entscheidenden Wendepunkt erlebte die amerikanische Wrestlingszene während der 40er Jahre. So interessierten sich einige alteingesessene Promoter für die noch wissenschaftliche Kuriosität des Fernsehens. Kaum zu glauben das daraus ein Milliardengeschäft entstand. Seit den technischen Fortschritten begründet durch Paul Nipkow, Manfred von Ardenne und Karl Ferdinand Braun sind schon etliche Jahre ins Land gegangen. Aber gerade die späten 40er Jahre brachten ins Wrestling eine Art neuen Zeitgeist. 25 Jahre Nachkriegsgeschichte - das sind 25 Jahre voller Erfolge, Abstiege, Sensationen, Triumphe, Niederlagen, Emotionen, Spannungen und Wiederaufbau. Durch die Revolution der Fernsehshows wurde dieser Zeitgeist kräftig angekurbelt. Doch wie fast überall bedurfte es dafür einer harten und anstrengenden Vorarbeit. Es waren viele, die sich daran beteiligten und deshalb hier in breiter Fülle kaum Erwähnung finden dürften. Der große Promoter wie auch der kleine Wrestler leisteten ihren Beitrag dazu. Sie alle haben deshalb hohe Anerkennung verdient.

Manche Promoter haben den Sprung nach 1945 nicht geschafft. Andere nutzten ihn perfekt aus. Eine Zeitenwende brachte viel durcheinander und mancher wird dem alten Wrestling noch nach getrauert haben. Neue Gesichter, neue Stile, neue Shows - das Traditionelle wich der Moderne. Als der Ingenieur Paul Nipkow im Jahre 1940 starb, konnte er die Revolution des Fernsehens nicht mehr miterleben. 1883/1884 entwickelte Nipkow die nach ihm benannte "Nipkowsche Scheibe", die eine erste Grundlage für das Fernsehen darstellen sollte. Hierbei handelte es sich um den ersten brauchbaren mechanischen Bildfeldzerleger, der auch als "Elektrisches Teleskop" bezeichnet wurde. Mangels Geld verfiel sein Patent allerdings und diente ab 1885 zahlreichen anderen Pionieren als Ausgangspunkt. 1934 startete der "Fernsehsender Paul Nipkow" in Berlin seine Übertragungen. Das war der erste Fernsehsender der Welt.

10 Jahre nach Nipkows Tod begann auch in Nordamerika das Goldene Zeitalter jener Zerlegung von Bildern in Punkte. Obwohl das Fernsehen bereits vor 1945 serienreif war, verhinderte der 2. Weltkrieg einen rasanten Aufstieg. In kleinen Schritten gelang es, die Technik soweit zu perfektionieren, dass binnen weniger Jahre ein riesiger Markt entstand. Am eindrucksvollsten war dieser technische Fortschritt in Amerika zu bewundern. Nach Kriegsende gab es hier lediglich 7 Fernsehsender und etwa 7.000 Geräte. Doch schon 1950 strahlten über 100 Sender regelmäßige Programme aus, die rund 10 Millionen Zuschauer erreichten. 1954 wird das inzwischen amerikanische Massenmedium Fernsehen farbig. Fernsehgeräte mit NTSC-Norm werden verkauft.

Das enorme Interesse am Wrestling nach 1945 hatte - nach Ansicht einiger Beobachter - vor allem zwei Gründe: Die Fernsehübertragungen und das Interesse der Frauen. Innerhalb weniger Jahre gab es einen wahren Ansturm auf Wrestlingshows, bei denen Sensationen, Regelverstöße und verrückt erscheinende Gimmicks eingeschoben wurden. Durchschnittlich 10.000 bis 20.000 Zuschauer verbuchten die Veranstalter schon während der ersten Nachkriegsjahre. Wie populär das Wrestling Anfang der 50er Jahre schon war, zeigen die nachfolgenden Zahlen: 1950 kamen bei rund 800 Veranstaltungen 24 Millionen Zuschauer. Die Veranstalter kassierten 36 Millionen Dollar. 1951 und 1952 sind diese Zahlen noch übertroffen worden. 90% der Fernsehzuschauer waren Frauen. Rund 60% weibliche Besetzung zählte man in den Zuschauerrängen. Amerikanische Psychologen gingen diesem Phänomen nach und kamen zu folgendem Ergebnis: "Die Begeisterung der weiblichen Zuschauer hängt mit sexuellem Motiven und dem gigantischen Showapparat zusammen." Freilich war dieser Apparat für heutige Verhältnisse äußerst klein. Damals jedoch genügten schon kleine Fortschritte.

Das Wrestling war nicht erst seit dem Auftauchen im Fernsehen ein Geldgeschäft. Bereits die World Champions Jim Londos und Ed Lewis kämpften im Madison Square Garden vor tausenden Fans. Einzelne Kämpfe brachten daher schon um 1930 herum mehrere 10.000 Dollar ein. Londos und Lewis waren Rivalen und deren Auseinandersetzungen deshalb schon damals beliebt. Eine ganze Serie von Matches bestritten die beiden. Am 20. September 1934 erlebten 35.265 Zuschauer wie Jim Londos auf dem Wrigley Field in Chicago Ed Lewis bezwang. Bis zum Ende ihrer Karriere waren sie längst Millionäre. Seit den 30er Jahren hatte sich das Wrestling zum ernsthaften Konkurrenten für das Boxen entwickelt. Jedoch wollte der zahlende Zuschauer stets immer mehr Sensationen. Sogar die so populären Schlammringkämpfe wurden durch erste einfache Gimmicks verdrängt.

Jim Londos trat 1946 als World Heavyweight Champion zurück. Doch seine Rückkehr knapp 4 Jahre später bleibt unvergessen. Auf dem Wrigley Field in Chicago kämpfte Londos am 03. Februar 1950 vor einer Rekordkulisse gegen Ex-Boxweltmeister Primo Carnera. Trotz der starken Besetzung reichte es nur zum Unentschieden. Die utopische Summe von 154.000 Dollar erreichte man jedoch nicht. 53.745 Dollar erscheinen da schon glaubhafter. Aber die Veranstaltung bot noch mehr: Chief Don Red Eagle besiegte Frederick Von Schacht, "Mr. America" Gene Stanlee bezwang Kola Kwariani, Mike Mazurki siegte über Hardy Kruscamps und Publikumsliebling Antonino Rocca besiegte Benato Gardine in nur 84 Sekunden. Für großes Aufsehen sorgte auch Ex-Boxweltmeister Max Baer, der als Ringrichter verpflichtet werden konnte. Boxer im Wrestler-Lager - dafür gibt es viele Beispiele im Zeitalter des Fernsehens. Doch diesem Thema widmet sich ein anderer Teil.

Frühe Produzenten suchten nach einem Konzept, um dem Fernsehen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wrestling kam da sozusagen gerade recht. Es gehörte damals zu den ersten regelmäßigen Programmen im amerikanischen Fernsehen. Der TV Wrestling-Boom begann Anfang der 50er Jahre. Die 50er Jahre brachten eine Reihe von Stars hervor, die später sogar in anderen Gimmicks weiterlebten. So gelten Lou Thesz, Buddy Rogers, Freddie Blassie, Gorgeous George, Frank Sexton, Pat O´Connor, Primo Carnera, Walter Palmer und Antonino Rocca als bekannte Wrestler dieser Dekade. Ihr Erfolg basierte jedoch auf dem Einfluss einiger Promoter. Schon bald zog eine wahre Rige davon durch die USA. Sie hatten den goldenen Schlüssel, mit dem Wrestling Geld zu verdienen, längst gefunden.

Chicago war schon damals eine Wrestling-Hochburg, wo viele Promoter Shows veranstalteten, die in die Geschichte eingegangen sind. In den 40er Jahren versuchten mehrere Promoter ihre Shows bei lokalen Fernsehstationen ausstrahlen zu lassen: Fred Kohler (1946), Donald Owen (1948) oder Morris Sigel (1949). Es war schließlich Chicago-Promoter Fred Kohler (Fred Koch), der dabei als Erster das neue Medium erfolgreich ausnutzte und so die Fernsehrevolution im Wrestling einläutete. Durch diese Fernsehrevolution erschienen die ersten TV Wrestling Stars auf dem Bildschirm. Nach 1950 waren dies u.a. Verne Gagne, Hans Schmidt, "Mr. America" Gene Stanlee, Johnny Valentine und Crusher Lisowski. Gorgeous George und Primo Carnera gehörten zu den ersten Wrestlern, die auf weite Sicht hin für ausverkaufte Arenen sorgten. Manche bezeichnen Gorgeous George als ersten TV Wrestling Star. Andere sagen Primo Carnera war zuerst da.

Kohler, geboren 1903 als Sohn deutscher Einwanderer, war vor dem 2. Weltkrieg einer der drei führenden Wrestling-Promoter in Chicago. Sein Vater betrieb eine Veranstaltungshalle in der Chicagoer Larrabee Street. Am Anfang trat er selbst als Wrestler auf. Das Promotergeschäft versprach jedoch wesentlich mehr. Als Joe Coffey 1941 starb und "Wrestling Zar" Ed White im September 1942 zurücktrat, konnte sich Fred, als nunmehr alleiniger Promoter, behaupten. Eine engere Zusammenarbeit zwischen White und Kohler gab es seit Dezember 1936. Dutzende Shows in allen bekannten Chicagoer Arenen machten Fred zum einflussreichen Mann. Der neue "Wrestling Zar" in Chicago förderte vor allem jüngere Schwergewichte. Aus allen Teilen des Landes kamen täglich viele Postsäcke in Kohlers Büro. Er verkaufte Wrestling-Kalender, Fotos und seine beliebte Zeitschrift "Wrestling As You Like It", die ab 1946 unter Mitwirkung von Rickard "Dick" Axman erschien.

Kohler veranstaltete Chicagos erste Wrestling-Fernsehshow am 10. Juli 1946 mit dem Hauptkampf Walter Palmer vs. Flash Gordon. Das Mittwochabend Programm wurde aus der Rainbo Arena auf Kanal 4 WBKB-Sender übertragen. Technische Probleme verzögerten zunächst eine dauerhafte Ausstrahlung, so dass die Sendung im August 1946 vorläufig eingestellt werden musste. Kurze Zeit später bekam man das Problem jedoch in den Griff und Kohler's beliebte Rainbo-Show lief noch bis September 1948 auf WBKB. Eine Sendung reichte dem später mächtigsten Mann im Wrestling nicht aus. Im April 1948 debütierten seine Shows beim WGN-Sender am Donnerstagabend auf Kanal 9. Austragungsort war der Chicagoer "Madison Athletic Club". Kohler's Rainbo-Shows wechselten den Sendeplatz und ab Oktober 1948 waren sie bei WENR zu sehen. Ab dem 14. Januar 1949 kam eine dritte Sendung hinzu - ebenfalls auf WENR übertragen. Kohler veranstaltete erstmals seit 1938 wieder im beliebten "International Amphitheater". Knapp 9.500 Menschen sahen das Programm am 14. Januar. Die größte Zuschauerkulisse in Chicago seit mehr als 10 Jahren. Kohler hatte jetzt drei Wrestling-Fernsehshows und noch etliche Veranstaltungen nebenbei. Der Clou kam, als das ABC-Network die Rainbo-Shows ab Februar 1949 in New York auf WJZ-TV ausstrahlte. Und das noch Jahre bevor Vincent James McMahon seine populären Fernsehshows aus der Turner Arena in Washington startete.

Aufgrund anhaltender Probleme mit dem Besitzer der Rainbo Arena Leonard Schwartz, wechselte Kohler im Juli 1949 zur Marigold Arena. Eine erste Fernsehshow wurde hier am 17. September 1949 übertragen. Sie wurde zur Hauptsendezeit im Dumont Network ausgestrahlt. Einem Konkurrenten von NBS, ABC und CBS. Zugleich war dies die erste Sendung, die man durch das Dumont-Network überregional sehen konnte. Den Hauptkampf zwischen den Schnabels und Rudy Kay/Benito Gardini sahen wieder viele Zuschauer. Das ABC-Network verlor in diesem Falle das Rennen gegen seinen Konkurrenten Dumont. Die Programmdirektoren bei Dumont waren von Kohlers ABC-Übertragungen aus der Rainbo Arena beeindruckt. Beim Wechsel zur Marigold Arena verlor dann ABC seine Senderechte. Kohler entschied sich für Dumont und so entstand der Sendevertrag, der ihn zur mächtigsten Figur im amerikanischen Wrestling machte. Die ersten Marigold-Shows wurden in New York, Buffalo und Boston ausgestrahlt. Bei Kohler's Fernsehsendungen traten nunmehr auf: Lou Thesz, Hans Schmidt, Gorgeous George, Buddy Rogers und Verne Gagne.

Nach und nach bookte Fred dutzende Talente aus allen Teilen der USA unter dem Banner seiner "Illinois Wrestling Promoter Association". Manager, Matchmaker und andere Booking-Agents erschienen Haufenweise in seinem Office in der Grace Street. Bald hatte Fred die besten Wrestler des Landes unter Kontrolle und "lieh" sie wiederum an andere Promoter aus. Seine Saturday Night Shows machten ihn bis 1955 schlichtweg zum einflussreichen Veranstalter im Wrestling. Schätzungen zufolge verdiente er nach 1950 zwischen 300.000 und 500.000 Dollar jährlich. Das war damals sehr viel Geld. In Opposition zu Kohler startete Leonard Schwartz eigene Fernsehshows in der Rainbo Arena ab 1950. Schwartz und Promoter Ray Fabiani gründeten im selben Jahr die "Clark Sports, Inc.". Es begann ein Promotionkrieg um Auftrittsrechte und Zuschauer. Jeder wollte nun mit dem Fernsehen Geld verdienen. Die Schwartz-Fabiani Fraktion ließ ihre Shows beim Dumont-Konkurrenten ABC ausstrahlen. Da sie u.a. in Minneapolis, Denver, St. Louis, New York, New Orleans, Kansas City und Oklahoma City zu sehen waren, musste Kohler hart kämpfen, um diese Konkurrenz zu besiegen. Fabiani stieg allerdings schon im Herbst 1951 wieder aus. Damit verlor Schwartz praktisch seinen wichtigsten Geschäftspartner.
Zitieren
#2
Kohler entschied den Promotionkrieg 1955 für sich. Schwartz hatte keine Chance mehr gegen dessen Saturday Night Shows. Als Schwartz' Rainbo-Shows am 19. August 1955 nur noch 1.438 Zuschauer anlockten, war endgültig Schluss. Allerdings gelang es der Konkurrenz trotz ihrer Stärke nicht, Kohler zwischen 1950 und 1955 zu überbieten. Im Gegensatz zu Schwartz bookte Fred dutzende Talente landesweit, vor allem jüngere Schwergewichte wie Verne Gagne. Fred hatte auch die Kontrolle über nahezu jede Chicagoer Arena. Dagegen war Schwartz machtlos. Das Dumont-Network kappte im März 1955 Kohlers Sendungen. Auf einmal verlor er mehr als 50% seiner Macht. Seine Shows waren bislang in bis zu 65 Städten zu sehen. WGN strich schließlich 1957 auch die lokale Ausstrahlung der Saturday Night Shows. 1958 beging Fred ein eher unehrenhaftes Jubiläum: Er investierte 48.000 Dollar für sein Match Nr. 10.000 und ging fast bankrott. Eine Zusammenarbeit mit Vincent James McMahon brachte ihn aber 1959 zurück ins Fernseh-Business.

Unter Kohler und McMahon debütierte "Heavyweight Wrestling from Bridgeport" am 19. September 1959 in Chicago auf NBC-WNBQ. Dieses TV-Format startete McMahon im Februar 1959 von der Sendestation Bridgeport in Connecitcut. Kohler schloss mit McMahon einen Sponsorenvertrag für die Chicagoer-Sendungen ab. So entstand bis 1963 eine erfolgreiche Allianz. Wrestler wie Pat O'Connor, Antonino Rocca, Johnny Valentine oder Bruno Sammartino bekamen ihre Chance im Fernsehen. McMahon schickte etliche Talente nach Chicago. Kohler beendete dann seinen Sponsorenvertrag im Juni 1963 und zog sich endgültig aus dem Fernsehen zurück. Wenig später wurde auch das TV-Format "Heavyweight Wrestling from Bridgeport" in Chicago eingestellt. Fred verkaufte alle Rechte der Marigold Arena für 200.000 Dollar an "Faith Tabernacle, Inc.". Noch in den frühen 60er Jahren gründete er die "International Wrestling Association (IWA-Chicago)". 1965 beendete er auch seine Promoterlaufbahn und verkaufte alle Rechte an William Afflis und Wilbur Synder. Chicago wurde später zum AWA/WWA-Revier. Das Wrestling verlor am 24. August 1969 einer der einflussreichen Figuren. Fred Kohler starb im Alter von 66 Jahren in Arizona. Er war der erste Promoter, der dem Wrestling ein neues Gesicht durch Fernsehshows verpasste.

Fortsetzung folgt....
Zitieren
#3
Wow! Tolle Infos! Vielen Dank!
Zitieren
#4
Für unsere Page bist du eine wahnsinnige Bereicherung und ich bin froh, alle deine Texte später auf WWF4EVER.de sehen zu dürfen!
Zitieren
#5
Wirklich klasse Arbeit Daumen hoch
Zitieren
#6
Jup, tolle Arbeit die du da leistest ! Daumen hoch
Zitieren
#7
Teil 2: Gorgeous George - Siegeszug durch Komik

Mittlerweile hat das Wrestling zahlreiche Gimmicks durchlaufen. Von spannenden Momenten ist die Erkenntnis geblieben, dass man mit Entertainment aufsteigen oder abfallen kann. So schnell der eine kommt, so schnell verschwindet der andere wieder. Auch vor über 50 Jahren gab es bereits einige Wrestler, deren enorme Präsenz im Ring Massen von Menschen anzog. Als Ali Baba den schrecklichen Türken mimte, standen die Zuschauer vor Erregung Kopf. Es war im Prinzip möglich, durch einfache Tricks großes Aufsehen zu erwirken. Heute hält man das eventuell für einen schlechten Scherz, damals brachte es Unsummen ein. Der ziemlich behaarte Ali Baba hieß richtig Harry Ekisian. Irgendwann kam dann die sonderbare Wandlung zum bösen Türken. Er ließ sich eine Glatze schneiden und einen Schnurrbart wachsen. Zu guter Letzt setzte er den Fez auf und schlüpfte in einen alten Schlafrock. Auf die landesüblichen Stühle vermochte sich dieser Zeitgenosse nicht zu setzen. Stattdessen brachte er jedesmal seinen eigenen Türkensitz mit. So ließ sich der im wirklichen Leben arbeitende Matrose nieder und wartete auf die Gunst der Stunde.

[Bild: http://www.wwf4ever.de/team/ronald/Ali Baba.jpg]
Ali Baba

Ali Baba, einst US Navy Champion, kämpfte 1936 gegen World Heavyweight Champion Dick Shikat. Das erste Match der beiden in Detroit verfolgten 8.562 Zuschauer. Nach 46 Minuten besiegte Baba Shikat und wurde schließlich neuer World Champion. Das Problem war nur die fehlende Anerkennung. Die New York State Athletic Commission (NYSAC) verlangte ein Rematch im Big Apple. Am 05. Mai 1936 besiegte er im Madison Square Garden erneut Shikat. Ali Baba war nicht lange Champion, aufgrund der kontroversen Ereignisse dieses Jahres. Schon am 12. Juni verlor er gegen Dave Levin durch Disqualifikation. Baba wurde damals noch als Champion anerkannt. Im Sommer 1936 stand das Wrestling vor dem Problem, neun World Champions zu besitzen: Dave Levin (New York), Everett Marshall (Colorado), Dean Detton (Pennsylvania), Rudy Dusek (New Yersey), Yvon Robert (Massachuetts, Kanada), Leo Savage (Texas), Vincent Lopez (Kalifornien), Jack Sherry (England) und Wladek Zbyszko (Argentinien). Levin ernannte sich nach der Niederlage von Baba selbst zum Champion. Doch die NYSAC verweigerte die Anerkennung.

Das Auftreten von Ali Baba machte Schule und 20 Jahre später gab es eine Fülle solcher Figuren. Gorgeous George war schlechthin der unbestrittene König und Liebhaber der Frauen. Gerade bei ihm bemerkte man den aufkommenden Showfaktor, der in den 50er Jahren an Stärke zunahm. Noch wenige Jahre zuvor war dieser Wrestler so gut wie unbekannt. Durch sein Auftreten im Ring läutete er den Siegeszug ein. Immer wenn George in einer Halle erschien, stand davor das Schild "ausverkauft". Doch was war so anziehend? Es war die Mischung aus körperlicher Kraft und Komik. Eines Tages erschien George im Ring mit einer vielfarbigen Tunika. Vor dem Kampf brachte er das Publikum durch Scherze zum Lachen. Es folgten weitere Auftritte mit immer bizarreren Kostümen. 1952 erschien er als "chinesischer Kaiser" in Begleitung zweier Polizisten. Mit einem riesigen Parfümzerstäuber sprühte er die lachenden Leute in den ersten Reihen an. Ein amerikanischer Manager, der seinen Namen nicht nennen wollte, charakterisierte das so: "Wir müssen die Kämpfe ganz nach dem Publikumsgeschmack einrichten. Die Erwachsenen sind wie Kinder, sie wollen auch im Ringkampf einen Helden und einen Bösewicht sehen, zwischen welchen beiden sie dann ihre Liebe und ihren Hass verteilen." Nur gut das er seinen Namen nicht zum besten gab. Man sah es nämlich ungern, wenn jemand "Geheimnisse" ausplauderte.

George erreichte mit diesen Shows eine unglaubliche Popularität. Zeitweise verdiente er bis zu 2.000 Dollar monatlich. Damals ein enormes Gehalt. Während der anfänglichen Flaute im Ringkampfgeschäft war es George, dessen Erscheinen für die nötige Würze sorgte. Diese Auftritte brachten schnell Nachahmer hervor. In früheren Jahren waren die meisten dieser auffallenden Typen keine Ausländer. Als dann die Einreisebestimmungen gelockert wurden, kamen sie fast von alleine: The Angel, Ivan Linow oder Canadian Masked Marvel gehörten dazu. Der bärtige Riese Man Mountain Dean machte Amerikas Westküste unsicher. Der Franzose Manizio Tillat kommt als Gorilla verkleidet, getragen in einem Affenkäfig, zum Ring. Lord Leslie Charlton kommt mit Monokel und schwarzem Seidenmantel in die Halle, die er vor Beginn des Kampfes an seinen Diener weiter reicht. "Nature Boy" Buddy Rogers lässt sich seine reich bestickte Robe von einer hübschen Dame abnehmen. Der Japaner "The Great Togo" trägt einen Spitzbart und bringt bei nur 1.70m Körpergröße 215 Pfund auf die Waage. Jones, der Bauer, kommt nur zum Ring, wenn er am Gürtel ein kleines lebendes Schwein zu hängen hat. Roy Slive, der Wrestler mit dem akademischen Doktorgrad, erscheint stets im Professorengewand. Baron Michele Leone wird von seinen Gegnern mit Genuss an der 40cm langen Haarpracht gezogen. Einen ganzen Urwald trägt dagegen "Elephant Boy" auf dem Kopf. Eine Sklavin bringt den Elefanten zum Ring. "Mr. America" Gene Stanlee lässt seine Mähne vor jedem Match ondulieren. Stanlees Diener muss dann immer Gegner und Ringmatte mit Parfüm bestäuben. Das Publikum rastet aus, als ein Wrestler seinen Gegner mit der großen Nadel in gewisse Körperteile trifft. Publikum hat es gesehen, Ringrichter natürlich nicht. Riese Frank Sexton redet mit schwacher Stimme, die klingt wie ein Jugendlicher im Stimmbruch. Sexton litt als Kind an Diphtherie. Das waren die Spätfolgen dieser Erkrankung. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen, doch sie wäre unvollständig, wenn nicht Amerikas Bösewicht Nr. 1, "die deutsche Bestie" Hans Schmidt, zur Geltung käme. Ein wesentlicher Grund für das Erscheinen ausländischer Wrestler waren die Talentsucher von New York Promoter Joe „Toots“ Mondt. Durch die ganze Welt zogen sie und brachten stets neue Gesichter nach Nordamerika. Im amerikanischen Nationalitäten-Schmelztiegel gingen deutsche Talente fast unter. Die einstigen Helden Hans Kämpfer und Fritz von Schacht zogen nicht mehr. Auch der Zenit eines Dick Shikat war längst verblasst. Als Shikat in Amerika landete, hatte er keinen Pfennig in der Tasche. Man bot ihm einen 18.000 Dollar Jahresvertrag an. Jedoch nur unter der Bedingung, dass er auf Verlangen verlieren müsse. Dem Entsetzen der Zuschauer folgte ein Ansturm auf die Kassen. Man konnte ihnen Geschichten auftischen, die sie für wahr hielten. Hans Schmidt hieß richtig Guy Larose und wurde in Kanada geboren. Boston-Promoter Paul Bowser hatte 1951 einen grandiosen Einfall: Er ließ Schmidt in eine Rolle schlüpfen, aus der Amerikas Bösewicht schlechthin kurz nach dem Krieg hervorging. Bowser meinte, dass Larose mit 1.93m und 110kg praktisch wie ein Deutscher aussah. Er nannte ihn schließlich Hans Schmidt.

[Bild: http://www.wwf4ever.de/team/ronald/Gorgeous George.jpg]
Gorgeous George

Schmidt verschlug es später nach Chicago. Damit war er automatisch in Kohlers Händen. Es schien so, als wenn man dem Nachkriegsdeutschland eins auswischen wollte. Die offizielle Biografie von Schmidt lässt das doch schwer vermuten: Geboren 1925 in München; Schulausbildung am dortigen Kaiser-Friedrich-Gymnasium mit Unterricht im Boxen, Hochsprung und Ringen; Vater war Direktor einer Kruppschen Rüstungsfabrik; während des Krieges erst Kradmelder; im Anschluss Bomberpilot und über Frankreich abgeschossen. Dieser Lebenslauf erwies sich als Zugnummer. Eines Tages erschien Schmidt im Fernsehen. Promoter Jim Barnett verpflichtete ihn darauf für Shows in Chicago und Umgebung. Aber schon bald war Schmidt landesweit anzutreffen. Barnett war mittlerweile an Kohlers Seite gerutscht. Dieser war mit allen Schlichen des Show-Business vertraut, Barnett hingegen noch jung und unerfahren. Er war früher beim Magazin „Wrestling As You Like It“ in Chicago tätig und rutschte nun auch ins Veranstaltergewerbe über. Dann kam plötzlich Hans Schmidt. Die Mischung aus Show und Sport brachte für Schmidt rund 100.000 Dollar Jahresgehalt. Seine Hintermänner verdienten etwa das Doppelte. Jede Woche ging das Spiel von vorne los. Die Zuschauer wollten stets eine Fortsetzung sehen. Schmidt geriet bei vielen in Ungnade, weil er den Hitler-Gruß zeigte. Man verkaufte ihn geschickt als Münchner Bestie mit finsterem Gesicht, Kurzhaarschnitt nach russischer Art und einer neuen Biografie reich mit Essenzen ausgestattet.

So schien das Publikum schon von alleine zu kommen. Die Rechnung ging auf: Als er im Fernsehen auch noch seine Parolen zum besten gab, kochte die amerikanische Volksseele. Wrestling ist ein Geschäft, dass nur durch Bösewichte überleben kann. Seinen dreckigen Kampfstil habe er erst in den Staaten erlernt. Jeder sei verrückt, der sportlich im Profigeschäft kämpfe. Schockiert beendete Fernseh-Sprecher Jack Brickhouse das Interview. Im Nachhinein konstatierte Brickhouse: Schmidt ist eine moralische Belastung seines Vaterlandes. Die Fans hatten genug gesehen und gehört. Beim nächsten Auftritt folgten bereits Beschimpfungen, Provokationen, laute Buh-Rufe und Anfeindungen. Sogar Flaschen kamen geflogen. Durch kleine Gestiken ließ sich das sensationsgierige Publikum aufstacheln. Sie hassten diesen "Deutschen" einfach. Schmidt hebt die Hand zum Hitler-Gruß. Sofort scharrt, brüllt und tobt das Umfeld.

Kohler und Barnett legten noch nach: Als Manager verstanden sie es geschickt, mit dem "gemeinsten aller Wrestler" Kasse zu machen. Korrespondent Manfred George berichtet: "Nach dem Kampf, wenn er seinen Gegner meistens zu einem stöhnenden Klumpen Fleisch gewürgt hat, erhebt Hans Schmidt, umbraust von wüsten Zurufen und beworfen mit Programmen, zusammengeknüllten Zeitungen, Wurstenden und Zigarettenstummeln, erneut die Hand zum Hitler-Gruß, misst seine Hörerschaft mit wilder Verachtung und verlässt den Ring." 1953 musste sich sogar das Bonner Außenministerium mit Hans Schmidt befassen. Einige Deutsch-Amerikaner wollten seine Herkunft genauer recherchieren. Sie fühlten sich durch Schmidts Diffamierungen beleidigt. Die Recherche war nicht sonderlich erfolgreich: Charlotte Emerson nahm Kontakt zum Bayrischen Ringerverband auf. Doch die Auskunft lautete, dass ein besagter Hans Schmidt in München und Umgebung unbekannt sei. Schmidt selbst schwieg eisern über seine wahre Identität.

Gorgeous George konnte im Kalifornien-Revier unter Promoter Johnny Doyle kräftig Kasse machen. Aber Ende der 50er Jahre war seine Zeit abgelaufen und neue Konkurrenten machten ihm das Geschäft streitig. Es gab jetzt vielmehr solcher Figuren, so dass eine Art Sättigung entstand. Man musste stets neue Sachen präsentieren, um nicht abzurutschen. 1962 beendete George seine Karriere. An Weihnachten 1963 erlitt er einen Herzinfarkt und starb im Alter von nur 48 Jahren. Zum Zeitpunkt seines Todes war George in tiefste Armut gefallen. Seine Freunde und ehemaligen Kollegen aus dem Ring spendeten ihm einen Grabstein.

1953 endet in Milwaukee die Ära Henry Tolle. In gut 50 Jahren Regie-Tätigkeit erlebten die Zuschauer allerlei Sensationen in Tolles "Absurditätenkabinett". Kämpfe in Teer, Schlamm, Eiern, Federn oder Fischen - damit machte Tolle vor 1950 die besten Geschäfte. Als Kassenschlager erwiesen sich auch Matches im Aquarium. Das Herumwälzen im Schlamm geriet dann allmählich außer Mode. Was anfangs noch zog, verschwand später in der Versenkung. Wenn Tolle den Ring freigab hieß es jetzt: Soldat Gorky gegen Japans "The Great Togo", Iwan Rasputin gegen Indianerhäuptling Don Adler oder Dr. Lee Grable gegen Baron Michele Leone. Rasputin reißt dem Don Adler beinahe die Skalplocke herunter. Für noble Fouls sorgt Lord Blears höchst persönlich. Tolle hatte sich hier scheinbar einen echten Lord aus England geholt. So zumindest wurde es dem Publikum propagiert. "Erlaubt ist, was gefällt!", nach diesem Motto erlebte die Wrestlingszene jahrzehntelang die Spanne zwischen Show und Sport. Die Emotionen kochten über, wenn der Ringrichter den Tiefschlag von Hans Schmidt absichtlich übersah. Auch hier in Milwaukee war Schmidt ein Kassenschlager. Als Tolle mit 71 Jahren das Zepter an seine Tochter Joan abgab, blieb den Fans in Milwaukee auch weiterhin nichts vorenthalten.

Ein anderes Phänomen setzte ebenfalls verstärkt nach dem Krieg ein. Viele Boxer wechselten ins Wrestling über. Dadurch wurde das ohnehin schon bunte Rahmenprogramm noch farbiger.
Zitieren
#8
Vielen Dank, ich habe gebannt mitgelesen und freue mich bereits auf den dritten Teil!
Zitieren
#9
Teil 3: Boxer im Wrestler-Lager

Auch nach 1945 gab es in Nordamerika einen Trend vom Boxen ins Wrestling überzutreten. Zeitweise verdiente man als Wrestler mehr. Jedoch wechselten schon weit vor 1945 einige Boxer ihr Betätigungsfeld. Tom Sharkey und Jack Munroe waren hierfür zur Jahrhundertwende die besten Beispiele. Sharkey wechselte 1901, da das Boxen in Amerika zeitweise sogar verboten wurde. Munroe zeigte am 13. März 1903 im Madison Square Garden in New York, wie gut er gegen einen der besten Wrestler kämpfen konnte. Tom Jenkins forderte ihn heraus. Binnen 1 Stunde wollte er den Boxer vier Mal flach legen, was allerdings nicht geschah. Jenkins brachte Munroe drei Mal zu Fall. Somit war die Bedingung des Sieges nicht erfüllt. Munroe ist es kurz vorher gelungen Box-Weltmeister Jeffries auf die Bretter zu fegen. Und auch im Kampf gegen Jenkins erwies er sich als sehr talentiert für das Wrestling-Geschäft. Bei manchen Boxern, wie Sharkey, bemerkte man ein stetiges Hin und Her. Schon 1903 kämpfte er wieder im Boxen und dann wieder im Wrestling.

Zur Jahrhundertmitte waren Jack Dempsey, Primo Carnera, Max Baer, Tony Galento, Jimmy Doyle, Riese Shy Hi Lee und Billy Conn bekannte Beispiele für den Wechsel ins Wrestling. Speziell bei Conn machte sich der Mangel an Erfahrung am Anfang besonders gut bemerkbar. Andere Leute wie Dempsey hatten da schon mehr Einsicht ins Business bekommen. Er schaffte diesen Wechsel relativ schnell. Conn mischte im Nachkriegs-Wrestling als Ringrichter mit und hätte damals beinahe den "Braunen Bomber" Joe Louis an den Rand einer Niederlage gebracht. In einem Hauptkampf mussten die beiden Akteure dem Ringrichter Conn erst mühsam dessen Aufgabe erklären. Bis ins letzte Detail wurde ihm gesagt, wo er zu stehen habe, wie man dem fliegenden Wrestler ausweicht und was für Regeln es gibt. Am Schluss des Kampfes fragte Conn, woran man erkennen kann, wer gewonnen hat. Sichtlich genervt antwortete ein Wrestler: "Wenn ich drei Mal auf die Matte klopfe ist der Kampf aus. Did you get it?" Darauf sagte Conn: "Sie werden verlieren?" "Unsinn" - meinte der Wrestler - "wir verlieren und gewinnen nicht, wir arbeiten. Wir sind Schauspieler, Akrobaten, Komödianten, Tragödien - did you get it?" Endlich kam das erhoffte "got it". Conn bekam für dieses Match immerhin 800 Dollar Gehalt.

Ehemalige Boxgrößen wie Jack Dempsey verdienten im Wrestling bei weitem mehr als im Boxen. Speziell Dempsey machte dabei eine erstaunliche Karriere als Ringrichter. Noch Jahre zuvor lieferte er sich mit James Joseph Tunney Schlachten um die Box-Weltmeisterschaft. Bis 1953 verdiente Dempsey in etwa 1 Million Dollar für Ringrichter-Jobs. Mitunter griff er in die Kämpfe ein und verpasste einem "ungehorsamen" Wrestler einen kräftigen Haken an den Kopf. Nach Absprache fiel dieser um und die Zuschauer jubelten. Im Falle von Dempsey machten die Box-Promoter damals ein Millionengeschäft. Sie erschufen einen neuen Schurken, der das "Gesetz im Ring" am besten anwenden konnte. Dieses Gesetz war Action, Farbe und Wildheit zugleich. Es ist der goldene Schlüssel zum Erfolg gewesen. Nur durch gelenkte oder wie man auch sagte "Flaschenkämpfe", ließ sich über längere Sicht hin ein breites Publikum anziehen. Dempsey besiegte seinen Gegner Georges Carpentier nach gewünschter Art der Box-Promoter. Er wurde zur Kampfmaschine aufgebaut und saß im Krieg doch unnütz herum, um für sich kämpfen zu lassen. James Joseph Tunney scheiterte irgendwie mit methodisch ausgefeilten Kämpfen. Dem Zuschauer fehlte das gewisse Etwas. Zwar verdiente Tunney viel Geld, aber die Sympathie blieb auf der Strecke. Häufige Buh-Rufe bekam dagegen Ringrichter Dempsey oftmals zu hören. Bei einem Kampf in Milwaukee zwischen Hans Schmidt, Tarzan und Mighty Atlas provozierte er eine Disqualifikation. Dempsey geriet mit Mighty Atlas ins Handgemenge. Schmidt schleuderte seine Gegner aus dem Ring und der Kampf endete in wilden Tumulten und Buh-Rufen. Der Bösewicht Hans Schmidt wurde disqualifiziert. Dempseys Faust sorgte noch für Ordnung.

Box-Weltmeister Joe Louis unterschrieb 1956 einen Wrestling-Vertrag, der 100.000 Dollar Jahresgehalt vorsah. Nur war es bei ihm anders: Die Steuerschuld von mehreren 100.000 Dollar zwang ihn zu diesem Schritt. Damals verdiente er noch Millionen im Box-Geschäft. Louis bezwang 1937 in Chicago Box-Weltmeister James J. Braddock durch KO in der 8. Runde. Am 10. September 1948 gab er den Weltmeistertitel kampflos und ungeschlagen auf. Eine legendäre Karriere hatte Amerikas "Brauner Bomber" hingelegt. Das galt auch für Ex-Box-Weltmeister Primo Carnera. In den frühen 50er Jahren wurde ihm vom Arzt ein Kampf über 30 Minuten verboten. Carnera hatte Probleme mit Krampfadern und gewann seitdem immer nach spätestens 29 Minuten. Riese Carnera war ohnehin ein TV-Kassenschlager im Wrestling und später aus den Shows kaum noch wegzudenken. Vor 1945 war der gebürtige Italiener Boxer. 1933 besiegte er Box-Weltmeister Jack Sharkey durch k.o. in der 6. Runde. Schon 1934 bezwang ihn aber Max Baer in einem harten Kampf in 11 Runden. Insider charakterisierten diese Schlacht als Massaker. Im Großen und Ganzen verblieb am Ende für Carnera nur ein winziger Geldbetrag. Am meisten verdienten die Promoter und Manager. Nach dem Titelgewinn von Baer fungierte im Hintergrund eine wahre Promoter-Manager-Rige. Alle wollten sie Geld verdienen. Zum Schluss seiner Laufbahn als Boxer verbuchte Carnera nach eigenen Angaben 300 Dollar. Die meisten Dollartausender verschwanden in den Taschen der Promoter. Neben finanziellen Einbußen war das Verhältnis zu seinen Geldgebern nicht gerade herzlich. Er entschloss sich zunächst in Europa weiterzukämpfen und im Kriegsjahr 1945 erste Kontakte zum Wrestling aufzunehmen. In dieser Zeit war es aber für ausländische Wrestler noch schwierig, was die Ein- und Ausreise nach Amerika betraf. Nicht selten stießen europäische Einwanderer auf kritische oder ablehnende Haltung. Gerade sie, die Amerikas Ruhm einst begründeten. Auch Carnera hatte nach seiner Rückkehr im Jahre 1946 Probleme mit manchen Funktionären. Carnera wollte unbedingt Weltmeister im Boxen und Wrestling werden. Beide Titel sozusagen gleichzeitig halten. Aber die Wrestlingszene war längst angewachsen und mit den Jahren entstand eine ernstzunehmende Konkurrenz.

Gorgeous George, Frank Sexton und Lou Thesz hegten Ende der 40er Jahre schon so manche Sympathien im Publikum. Im Alter von 41 Jahren versuchte Carnera nun im Wrestling durchzustarten. Am Anfang stieß er auf den Widerstand der California State Athletic Commission. Er sei ein unerwünschter Ausländer und im Ring nicht willkommen. Das war wohl die größte Fehleinschätzung des Jahres. Nach längeren Diskussionen erteilte man schließlich doch die Auftrittserlaubnis. Am 22. August 1946 feierte Carnera in Los Angeles sein amerikanisches Wrestling-Debüt. In 11 Minuten und 41 Sekunden besiegte er Tommy O’ Toole. Promoter Floyd Musgrave verbuchte satte 12.000 Dollar Einnahmen. Tja, und von nun an startete eine wahre Erfolgsgeschichte. 1947 verdiente Carnera vor Steuern 287.000 Dollar und 1948 392.000 Dollar. 1949 erreichte er die 500.000 Dollar Marke. Das waren für die meisten anderen Wrestler unvorstellbare Summen. Sein Jahresdurchschnittsgehalt betrug nach Steuerabzug circa 60.000 Dollar. Carnera gab an bis Ende der 40er Jahre rund 700.000 Dollar verdient zu haben. Wie reell diese Zahlen wirklich sind, lässt sich freilich nur noch schwer nachprüfen. Jedoch kassierte er wesentlich mehr als im Boxgeschäft. Darüber hinaus machte Carnera auch Werbung und wohnte derweilen in einem schicken Haus in Kalifornien.

Wrestling war ohnehin zur Konkurrenz für das Boxen angewachsen. Schon das zweite World Heavyweight Title Match zwischen Frank Gotch und George Hackenschmidt, am 04. September 1911 im White Sox Ball Park in Chicago, brachte 87.053 Dollar ein. Und ein Kampf zwischen Jim Londos und Jim McMillen 1931 im Madison Square Garden erzielte rund 70.000 Dollar. Am lukrativsten erschien natürlich New York. Aber bis Ende der 40er Jahre konzentrierte sich hier die Box-Szene. In den zahlreichen Clubs von Promoter Joe "Toots" Mondt war allerdings die Hölle los. Hier entstand ein Nationalitäten-Schmelztiegel. Wrestler aus aller Welt kämpften bei Mondt. Als Mondt und Vincent James McMahon in den dritten MSG einzogen, ging es an Amerikas Ostküste wieder richtig los. Das Boxen und Wrestling erlebte immer wieder eine Periode des Auf- und Abstiegs. Seit der Revolution des "catch-as-catch-can" als amerikanische Freistilvariante (mit englischen Wurzeln) kamen immer öfters Kritiken am Berufsringkampf hoch. Durch Ringertruppen einiger Promoter und Manager sei der Niedergang eingeläutet worden. Aber die Wrestlingszene war längst im Umbruch und schon Ende der 40er Jahre war man in anderen Zeiten angekommen. Die einstigen Legenden Ed Lewis und Joe Stecher weit entfernte Vergangenheit. Die verfahrene Situation des Boxens beschrieb ein Zeitungsartikel 1950 so: "Er ist schon längst in ein blutiges, abscheuliches Schauspiel ausgeartet, das nichts mehr mit dem üblichen Begriff von Sport gemeinsam hat. In keinem Lande der Welt sind die Fälle des tödlichen Ausganges der Boxkämpfe so zahlreich wie im amerikanischen Ring."

Max Baer war ein weiterer ehemaliger Boxer, dessen Karriere im Wrestling relativ erfolgreich verlaufen ist. 1934 entthronte Baer seinen Erzfeind Carnera. 1935 musste er den Weltmeistertitel an James J. Braddock abgeben. Neben Wrestling-Matches hielt er sich mit Ringrichter-Jobs über Wasser. 1949 spielte Baer in dem Film "Love is big business" die Leibwache für Claudette Colbert. Auch sonst war er in so manch anderen Filmen zu sehen. Die Liste von ehemaligen Boxern ließe sich konsequent fortsetzen. Viele Karrieren verpufften im Laufe der 50er und 60er Jahre. Ein stetiger Zuwachs an neuen Kräften erzeugte eine große Konkurrenz - und das auch unter den Promotern. Ex-Boxer Nate Brown kämpfte an der Ostküste und für Gesprächsstoff sorgte ebenfalls das "boxende Bierfaß" Tony Galento. Häufig war es eine zeitweilige Phase, die im Wesentlichen vom Tropf der Promoter abhing. Mondt, Bill Johnston Jr., Abe Coleman, der ehemalige World Champion Ed Don George oder Pavo Ketonen sind nur wenige Beispiele für Box- und Wrestling-Veranstalter. Mid-West Promoter Tony Stecher förderte ebenfalls einen Haufen Wrestlinggrößen. Auch aus dem Ausland kamen Veranstalter in die USA. Kubas erfolgreichster Box- und Wrestlingpromoter, Oscar Martinez Conill, kam 1951 nach New York zusammen mit seinem Assistenten "Kiki" Argomaniz. Sie waren involviert in zahlreichen Veranstaltungen zwischen Randy Turpin, Ray Robinson, Kid Gavilan und Billy Graham. Conill war, so wie Stecher, in beiden Bereichen aktiv und managte Shows im Boxen und Wrestling. Promoter Ted Thye war auch groß im Geschäft. Thye bereiste Indien, Australien, Thailand, Indonesien und Hawaii.

Den Unterschied zwischen Boxern und Wrestlern schilderte Promoter Burt Chadwick 1953 so: "Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Wrestlern und den Boxern drückt sich schon darin aus, dass ein Berufsringer niemals sagen wird: Morgen Abend kämpfe ich mit Gene Stanley. Er wird immer feststellen: Morgen Abend arbeite ich mit Gene Stanley. Die wilden Männer, die sich im Ring scheinbar bis zum Weißbluten bekämpfen, die sich wüst beschimpfen und gegenseitig aus dem Ring schleudern, leben meist geschlossen im gleichen Hotel, nehmen gemeinsam die Mahlzeiten ein - und zeichnen sich dadurch aus, dass sie "dicht" halten." Mit diesen Äußerungen machte sich Chadwick durchaus keine Freunde. Man sprach nur ungern über die Regie-Tätigkeit hinter den Kulissen.

Wenn auch nur zeitweilig, so sind ehemalige Boxer durchaus eine Bereicherung für das Wrestling gewesen. Sie machten es bunter und vielseitiger. Die Unterhaltung ist ja letztendlich das gewesen, was am meisten zählte. Entscheidende Veränderungen erlebte nach 1945 zuerst der Mittlere Westen. Die alte Promotergarde rund um Tom Packs, Tony Stecher und Al Haft machte den Weg für jüngere Kräfte frei. Die alten Zentren des Wrestlings, wie etwa St. Louis, mussten sich diesen Veränderungen entgegenstellen. Doch davon erzählt der vierte Teil.
Zitieren
#10
Der mit Abstand beste Teil bisher! Top, Top, Top!
Zitieren


Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Die größten Promoter des Wrestlings The Crusher 23 5.512 27.03.2012, 16:07
Letzter Beitrag: The Crusher
  Epochen des deutschen Wrestlings The Crusher 23 3.521 21.05.2010, 12:04
Letzter Beitrag: Cay Fabian
  1949: Neustart des Wrestlings im Madison Square Garden The Crusher 3 1.198 20.03.2009, 23:35
Letzter Beitrag: Adrian Adonis
  Was war der Shoot schlechthin des Wrestlings? (5 Years Later) Adrian Adonis 5 1.065 04.05.2007, 16:41
Letzter Beitrag: Nefercheperur
  Die entstehung des Mud Wrestlings Nefercheperur 0 561 12.05.2004, 23:54
Letzter Beitrag: Nefercheperur

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste