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Am nächsten Morgen wachte Lucas mit einem breiten Grinsen auf. Er konnte die Zusammenkunft mit den Leuten seines möglichen neuen Teams kaum abwarten. Gleich nachdem er aufstand weckte er seinen Bruder und drang ihn dazu aufzustehen und sich fertig zu machen. „Was? Wir haben doch noch fast 1 ½ Stunden, wieso muss ich denn jetzt schon aufstehen? Das ist doch kompletter Blödsinn, lass mich noch ein wenig schlafen.“ Aber Lucas dachte nicht daran Tobi weiterschlafen zu lassen. „Hoch jetzt, wir gehen noch ein wenig laufen um ordentlich wach zu werden und fit in den Tag zu starten. Du wirst es mir nachher danken – und jetzt ab!“ Lucas zog Tobi die Decke weg und der sah ein, dass seine Versuche weiterzuschlafen hoffnungslos waren. Nach einer kurzen Weile im Bad verließen die beiden das Hotel und liefen am Strand ihre Runde. „Kurz nach Sonnenaufgang laufen gehen, du hast sie doch nicht mehr alle“, rief Tobi seinem Bruder zu. „Du wirst es mir danken, Kleiner.“ Schau dir mal den Sonnenaufgang an und vergleiche ihn mal mit unserer Lage. Das passt doch perfekt! Lucas freute sich riesig und er hatte durchaus Recht. Der Sonnenaufgang heute war herrlich und heute gab es die Möglichkeit, dass die Sonne für die beiden genauso herrlich aufgehen konnte. Heute war vielleicht der Startschuss in eine große Karriere der Brüder. Ihre Hoffnung lag darin, dass diese ähnlich, wie der wunderbare Sonnenaufgang, starten würde.
Nach ca. 50 Minuten hatten Lucas und Tobi ihre Laufeinheit beendet. Sie gingen im Hotel noch schnell duschen und begaben sich dann in die Hotellobby zum Frühstück. Hier sollten sie mit Matze Kessler und einem weiteren Vertreter des Astana-Teams zusammentreffen. Diese ließen auch nicht lange warten. Pünktlich zum Gesprächstermin erschienen die beiden gut gelaunt. „Ja, mich kennt ihr ja schon und das ist Reto Bühler, ein enger Vertrauter von unserem Teamchef Marc Biver“, stellte Matze den beiden den Astana-Vertreter vor. Dieser reichte Lucas und Tobi die Hand und begann auch gleich das Gespräch. „Also ich denke wir sind erwachsene Menschen und da es bei uns ja familiär vorgehen soll schlage ich gleich mal vor, dass wir beim „du“ bleiben.“ Die lockere Art gefiel Lucas auf Anhieb und mit einem Nicken gaben er und Tobi ihr Einverständnis. „Ich bin heute im Auftrag von Marc Biver, Tony Rominger und Walter Goodefrot hier. Diese 3 Herren möchten dich, Lucas, gerne für das Team Astana verpflichten. Wir sehen in dir eines der größten deutschen Talente und würden es begrüßen, dich in unserem Team aufnehmen zu können. Wir wollen, dass du dich bei uns weiterentwickelst und schon in absehbarer Zeit dein Können bei den großen Rennen dieser Welt präsentieren kannst. Natürlich wollen dir dich erstmal in diese Richtung führen, aber wir sind von deinem Talent überzeugt und speziell mit deinen beiden deutschen Teamkollegen Matze und auch Andi Klöden sollte das kein Problem darstellen. Wir hoffen jedenfalls, dass wir dir ein ansprechendes Angebot unterbreiten können um dann gemeinsam in das Jahr 2007 zu starten.“ In den folgenden Minuten hörte sich Lucas aufmerksam die von Astana vorgeschlagenen Vertragsmodalitäten an. Sein Gehalt würde geringer als bei T-Mobile ausfallen, was er aber auch erwartet hatte. In Sachen Prämien und Renneinsätze unterschieden sich die Angebote nicht sehr. Ihm wurde versprochen spätestens in seinem 2.Jahr eine große Rundfahrt zu fahren, doch schon in seinem ersten Jahr sollte er sich bei einigen ProTour-Rennen anbieten. Dabei nannte Reto speziell die Tour de Suisse und Lucas seine Heimrennen die VatenfallCyclassics und die Deutschland-Tour. Von diesen genauen Vorstellungen seitens Astana war Lucas mehr als begeistert und er hätte dem Vertrag sofort zugestimmt. Das einzige Problem war, dass Tobi noch mit keinem Wort erwähnt wurde und das wollte Lucas ansprechen. „Ich hätte mal noch eine Frage.“ Weiter kam Lucas nicht, denn Matthias unterbrach ihn. „Ich denke mal, dass es um deinen Bruder geht.“ Lucas und Tobi nickten. „Ich habe gestern Abend schon mit Reto telefoniert und ihm von unserem Trainingsausflug erzählt. Erst wollte Reto mir nicht wirklich glauben, aber ich konnte ihn im Endeffekt auch von Tobi’s Fähigkeiten überzeugen.“ Tobi fing an zu strahlen. „Heißt das …?“ Reto ergriff wieder das Wort. „Nein, noch nicht ganz. Ich habe mich mit Marc verständigt und er hat gesagt, dass ich mich selber von deinen Fähigkeiten überzeugen soll. Wenn du deine von Matze beschriebene Leistung heute in einem von uns auferlegten Test bestätigst bekommst du einen Vertrag bei uns. Es ist aber sehr gut möglich, dass wir dich vorerst in einem Continental-Team parken. Es liegt an dir, wie die Verhandlungen ausgehen, also zeig was du drauf hast.“ Lucas klatschte seinem Bruder auf die Schulter. „Das ist deine große Chance, nutzte sie! Was für einen Test muss er denn bestehen?“ „Ich werde euch 3 heute einzeln den Pico de las Nieves befahren lassen und dann werden wir die Zeiten miteinander vergleichen. So werden wir Tobi sein Potential schon gut erkennen können.“ Tobi, sowie Lucas waren damit einverstanden. Dieses kleine Bergzeitfahren bedeutete eine faire und ehrliche Chance und Lucas war Reto, Matze sowie Marc dankbar für ihre Bemühungen. „Ich schätze es sehr, dass sie einem so jungen Talent wie Tobi die Chance geben. Wenn er den Test besteht werde ich den Vertrag zu 100 % unterschreiben, andererseits muss ich mich halt mit meinem Bruder darüber unterhalten.“
Schon kurz nach dem Gespräch brachen die 4 nach San Bartolome am Fuße des „Nieves“ auf. Tobi sollte gleich als erstes starten um weiteren Druck von ihm zu nehmen. So würde er befreit auffahren können, da man eventuellen Zeitvermutungen bzw. – angaben der anderen so aus dem Weg gehen würde. Vor dem Start bat Reto auch Lucas und Matthias noch mal 100 % zu geben, da man Tobi sein Können so besser einschätzen könnte. Lucas hatte auch an nichts anderes gedacht, denn das Verlieren lag nicht in seiner Natur. Natürlich drückte er seinem Bruder die Daumen, aber die Bremsen würde er dafür am Berg sicherlich nicht anziehen. Nach einer Aufwärmphase ging es dann los. Während Tobi langsam aber sicher am Horizont verschwand machten sich Lucas und Matze weiterhin warm. Matze versuchte auch sogleich alle Sorgen von Lucas zu nehmen. „Ich habe gestern gesehen, was er kann, das wird er ganz sicher schaffen. Konzentriere dich mal lieber auf dein Rennen, denn auch du kannst hier gleich mal ein Ausrufezeichen setzen.“ Im Anstieg fuhr Tobi währenddessen ein gleichmäßiges Tempo. Eine Kamikaze-Aktion wie gestern konnte er sich bei einem Bergzeitfahren nicht erlauben und das wusste er. Gleichmäßig spulte er sein Tempo ab, nur in den steileren Stücken ging er ab und an aus dem Sattel um neuen Schwung zu holen. Reto feuerte ihn aus dem Auto immer wieder an. „Komm, komm! Das sieht gut aus. Trete noch mal kräftig in die Pedale, gib alles was du kannst!“
Aus dem Auto heraus war das so leicht gesagt, aber für Tobi waren es extreme Schmerzen. Er fuhr quasi um sein Leben, denn das war der Radsport für ihn. Folglich versuchte er den Anweisungen zu folgen und versuchte das Tempo noch mal zu erhöhen. Die Schmerzen in den Beinen waren unerträglich und die Straße vor ihm glich einem Tunnel. Er war längst im anaeroben Bereich angelangt und es war unmöglich allzu lange in diesem zu bleiben. Wie eine Erlösung kam daher von der Seite der Ruf: „Komm, die letzten 3 Kilometer, gib noch mal alles was du hast.“ Tobi versuchte noch mal anzuziehen und ihm wurde schwarz vor Augen. Er dachte er würde gleich vom Rad fallen, doch der Wille einen Profi-Vertrag zu erhalten hielt ihm auf diesen und er stand auch die letzten 3 Kilometer durch. Auf der Kuppe fiel er total erschöpft vom Rad und brauchte ein wenig um zu Atem zu kommen. Für den schönen Ausblick hatte er jetzt keinen Nerv. Nahezu im Delirium hörte er den Worten von Reto zu und nickte nur. Er hatte was von „schöner Zeit“, „toller Leistung“ und „ob die anderen das überbieten“ erzählt, doch die genaue Wortfolge kannte Tobi nicht mehr. Als Reto wieder losfuhr war Tobi einfach nur glücklich kurz alleine sein zu können. Er legte sich in völlig fertig in den Rasen und trank etwas.
Ein paar Minuten später startete auch Lucas unten. Er wusste aus Jugendzeiten und auch den ersten beiden Profijahren schon, wie man ein Bergzeitfahren nahezu perfekt bestreiten würde und deshalb machte ihm das auch keine Angst. Die Angst Tobi aus einem Vertrag zu fahren war da größer, doch er wollte trotzdem 100 Prozent geben, schließlich konnte auch er sich beweisen. Nach einigen Kilometern konnte man schon sehen, dass Lucas sein Tritt flüssiger war. Er saß um einiges ruhiger auf dem Rad als sein Bruder, aber es war klar, dass dieser nicht auf dem Leistungsniveau von Lucas sein würde. Dadurch, dass Tobi „um sein Leben fuhr“ konnte man sich auch die stilistisch nicht so perfekten letzten Kilometer erklären. Er musste einfach über die 100 % gehen und da musste man das in Kauf nehmen. Lucas hingegen fuhr den Anstieg ruhig hinauf und das zeigte sich auch in einem durchgängig konstanten Tempo. Auf den letzten Kilometern konnte er sogar die Schlagzahl deutlich erhöhen. Was aus dem Auto so leichtfüßig aussah war allerdings harte Arbeit. Innerlich musste sich Lucas ganz schön quälen und die Schmerzen machten auch ihm zu schaffen. Am Ende des Anstiegs gab es von Reto Lob. „Das war schon ziemlich gut, auch um einiges besser als Tobi, aber das sollte seine Leistung nicht schmälern. Das war auch sehr stark.“ Glücklich, dass sein Bruder Reto nicht enttäuscht hatte plumpste Lucas zu diesem auf den Boden. In den nächsten Minuten träumten sie davon möglicherweise im gleichen Team fahren zu können. Die Entscheidung rückte immer näher und als Matze ankam war die Nervosität bei den beiden am Siedepunkt. Nachdem auch Matze sich ausgeruht hatte ergriff Reto das Wort. „Glückwunsch Lucas, du warst heute der Stärkste. Matze konnte deine Leistung nicht toppen. Nach diesen Erkenntnissen würden wir uns freuen ein Toptalent wie dich unter Vertrag nehmen zu können.“ Matze und Reto schüttelten ihm die Hand und Lucas war hocherfreut. „Nun zu dir Tobi. Zwar hast du heute die schlechteste Zeit von euch 3 gefahren, aber deine Leistung verbunden mit deinem Kampfeswillen auf dem Rad hat mich schwer beeindruckt. Einen 18 jährigen Radsportler wie dich findet man selten … Willkommen im Team Astana.“ Tobi schaute Reto ungläubig an. „Sagtest du Astana?“ „Ja, ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es am besten ist, dich direkt bei uns aufzubauen, da wir deine Entwicklung so besser lenken können.“ Tobi stieß einen Schrei der Freude aus und fiel danach Lucas um den Hals. Dieser war auch ganz außer sich und mit einer Träne im Auge sagte er zu Reto lediglich: „Ich nehme den Vertrag mit großer Freude an.“
Matze und Reto blieb nur noch „Herzlich Willkommen“ zu sagen.
Der Abend wurde dann natürlich dazu genutzt erstmal kräftig zu feiern und das gönnten Matze und Reto den beiden auch von ganzem Herzen.