Hat zwar nichts mit der Tour de France zu tun, aber für deutsche Radfahrfans vielleicht ziemlich interessant.
Jan Ullrich hatte ja letztens einen Artikel in der L'Equipe, allerdings wurden einige Worte falsch übersetzt, u.a. passierte es so, dass er Aldag laut L'Equipe einen Märchenerzähler nennt.
Hier mal ein längerer Artikel dazu und Zeilen aus Ullrichs Leben seit dem vergangen Juni - allerdings kein direktes Geständnis
Blick in die Medien – Interview in der L’Equipe
Montag, 16. Juli 2007
Liebe Fans,
wie ich Euch bereits angekündigt habe, könnt Ihr hier die übersetzten Artikel aus der französischen Sportzeitschrift L’Equipe lesen.
Viele Grüsse, Euer Jan Ullrich
Ullrich, so weit weg
Ein Jahr nach seinem Ausschluss von der Tour de France hat der Deutsche endgültig mit dem Radsport abgeschlossen. Und er ist glücklich.
Mit seinem Sieg an der Tour de France von 1997 wurde Jan Ullrich zum unumgänglichen Symbol des deutschen Radsports. Ein Umstand, der manchmal beneidenswert, meistens aber unangenehm war. Seit Ullrich im vergangenen Februar im Zuge der Operation Puerto seinen Rücktritt vom Radsport ankündigte, hat er die Freiheit neu entdeckt.
SCHERZINGEN (CH)
von unserem Sonderkorrespondenten (10.7.2007)
„Ich weiss, dass viele Journalisten – vor allem in Deutschland – glauben, ich sei in ein tiefes Loch gefallen und stehe am Rande eines Selbstmordes. So ist es aber nicht, es geht mir sehr gut und ich bin glücklich mit meinem Leben.“ Jan Ullrichs Empfang bei sich zuhause in Scherzingen auf der Schweizer Seite des Bodensees ist herzlich. Auf der anderen Seeseite liegt Deutschland, wo die Gerüchte über ihn ins Kraut schiessen. Wenn wieder einmal etwas zur Affäre „Puerto“ oder ein anderer Dopingskandal gemeldet wird, stellt er sich schon mal zum Vergnügen das Gesicht seiner Kritiker vor. Er weiss, dass sein Image auf immer beschädigt ist, doch damit will er nicht seine Zeit verschwenden. Er erscheint ehrlich, aber es macht ihm auch Spass, Spuren zu verwischen. Unter dem Deckmantel des Humors führt er seine Gesprächspartner gerne auch mal in die Irre.
Eines ist sicher: Heute hat er mit der Radsport-Szene nichts mehr zu tun, in der er in den vergangenen fünfzehn Jahren seinen Aufstieg und Fall erlebt hat. Als aktiver Sportler war es zeitweilig schwierig, seine wahren Gefühle zu ergründen. Doch seit seinem Rücktritt im vergangenen Februar geniesst er eine Freiheit, wie er sie noch nie zuvor gekannt hat, nämlich normal zu leben und über Begebenheiten aus seiner Karriere zu scherzen, als ob sie mit ihm nichts mehr zu tun hätten.
An jenem Morgen hatten Erik Zabel und Rolf Aldag, seine ehemaligen Kollegen beim Team Deutsche Telekom, ihr Dopingvergehen zugegeben. Ihr Geständnis brachte ihn in eine Realität zurück, die er vergessen möchte. „Es ist schon merkwürdig, all dies auf diese Weise auszupacken“, meint er, und es ihm beinahe peinlich, so über seine ehemaligen Weggefährten reden zu müssen. „Ich kann mich nicht an ihre Stelle versetzen, denn ich schulde niemandem etwas. Ich bin frei, ich habe genügend Geld, das reicht bis ans Ende meiner Tage. Sie aber mussten ihren Fehler zugeben, um weiter arbeiten zu können. Die Frage stellt sich aber: Haben sie alles zugegeben? Ich befinde mich wirklich in einer ganz anderen Situation und will nicht über sie urteilen, aber ich muss schon schmunzeln, wenn ich daran denke, was sie noch vor wenigen Tagen über mich erzählt haben, als sie noch die Unschuldigen spielten.“
Sein Leben geht weiter, ganz weit weg vom Radsport. Seinen Ausschluss von der Tour de France in Strassburg hat er verdaut. Es war ein langer, schmerzhafter Prozess, wie seine im sechsten Monat schwangere Frau Sara erzählt. „Aber im Herbst nach unserer Hochzeit hat Jan plötzlich erkannt, dass er auch ohne den Radsport leben kann.“ Wenn man ihn so über die Zeit reden hört, die er weit weg von den Tour-Strecken verbringt, auf denen er nach dem Rücktritt von Lance Armstrong als Favorit gehandelt worden war, spürt man bei ihm keinen Hass, sondern eher eine völlige Verständnislosigkeit. Das Gefühl, aus Gründen der Staatsraison fallengelassen worden zu sein, von gewissen Leuten geopfert, denen nur daran lag, sich schnellstmöglich ihr Image aufzupolieren. „Wenn man sieht, was momentan so passiert, erkennt man, dass mein Ausschluss nicht viel geändert hat“, sagt er mit einem Lächeln. „Das Problem war nicht Jan Ullrich, sondern der Radsport an sich.“ Er fühlt sich von seinen ehemaligen Kollegen auch als Sündenbock missbraucht. „Wenn ich hörte, in welcher Art und Weise Aldag am Radio oder Fernsehen immer wieder über mich sprach, hat mich das schon empört. Er hat dank mir gutes Geld verdient. Warum hat er es nicht zurückgegeben, wenn es denn so schmutzig war? Es hätte bestimmt eine wohltätige Organisation gegeben, die das als nette Geste akzeptiert hätte.“
Er gibt zu, dass er sich einmal wirklich aufgeregt hat: „Ich hielt es nicht mehr aus: Aldag redete nur noch über Ullrich. Da habe ich ihm eine SMS geschickt und ihm gesagt, dass er die Hauptfigur sein würde, falls ich einmal ein Buch schreiben würde. Seine Geschichten waren einfach zu unglaublich, um wahr zu sein. Das scheint ihm Eindruck gemacht zu haben, denn seither hat er nichts Negatives über mich mehr gesagt.“
Im vergangenen Winter verbrachte Ullrich über einen Monat in Südafrika, wo er sich für ein Hilfswerk zum Bau neuer Schulen engagierte. Dank seiner Anwesenheit konnten namhafte Summen für diese Projekte gesammelt werden. In Europa wollte er darüber nichts berichtet haben. Nach seiner Rückkehr gab es neue Erkenntnisse in der Affäre „Puerto“. Seine DNS, die er vergangenen September freiwillig bei der Polizei hinterlegt hatte, stimmte überein mit jener der neun Blutbeutel, die im Mai 2006 beim berühmten Doktor Fuentes gefunden wurden. Diese Zeit war für den Deutschen sehr schwierig. Er erinnert sich: „Sara und ich waren gerade mal seit vier Tagen wieder zuhause. Am liebsten hätten wir unsere Koffer genommen und wären wieder nach Südafrika gegangen, für immer. Weit weg von Deutschland, wo um mich eine wahre Hexenjagd entbrannt war.“ Dabei hatte er diesen DNA-Test aus freien Stücken machen lassen, damit die Polizei in seinem Heimatland ihn nicht vor seiner vierjährigen Tochter Sarah-Maria, die aus seiner vorherigen Beziehung stammt, verhaften würde. „Jan ist ein ganz einfacher Mensch. Er will niemandem etwas anhaben und möchte einfach in Ruhe gelassen werden“, erklärt sein ehemaliger Mentor Rudy Pévenage, der im Zusammenhang mit den in Deutschland laufenden Ermittlungen zur Affäre „Puerto“ ebenfalls angeschuldigt wird. „Jetzt reicht es ihm einfach, denn es sieht nicht so aus, als ob man ihn in Ruhe lassen würde.“
Ullrich gewöhnt sich langsam daran, mit dieser Vergangenheit zu leben. Die Anwesenheit der deutschen Paparazzi scheint ihn nicht mal mehr zu stören. Sie hocken auf den Bäumen über seiner Garage oder verstecken sich mehr schlecht als recht in den Getreidefeldern unterhalb seiner Terrasse und gehören schon fast zur Einrichtung. „Einmal“, so erzählt er lachend, „ bin ich zu den Fotografen hingegangen, die sich vor meinem Haus installiert hatten, und fragte sie, ob ich ihnen etwas bringen könne, ein Glas Wasser oder ein Bier. Es war ihnen fast peinlich, mich von so nahe zu sehen. Ich bin kein Wilder; sie machen ja nur ihren Job, oder wenigstens das, was man von ihnen verlangt.“ An diesem Abend nimmt er beim Verlassen seines Hauses eine kleine Videokamera mit; er will die fremden Besucher auf dem Weg zum Restaurant am See überraschen. „Es ist ihnen noch unangenehmer, wenn sie selber gefilmt werden. Sie tappen in ihre eigene Falle und merken erst dann, in was für eine unmögliche Situation sie Menschen wie mich bringen, wenn sie sie auf diese Art und Weise belagern.“
Die letzten Monate hat er die am Fernsehen übertragenen Rennen kaum mitverfolgt. Er interessierte sich nur gerade für das Zeitfahren des letzten Giro d’Italia, und das auch nur zeitweise. „Ich liebe diesen Sport, auch wenn es Leute gibt, die etwas anderes behaupten. Ich war ein echter Kämpfer, schon als kleiner Junge. Bei jedem Wettkampf musste ich einfach gewinnen, ob das nun im Radsport, beim Fussball oder in der Leichtathletik war. Ich brauchte den Wettkampf.“ Er kommt nochmals zurück auf die Tour de France von 1997, seinen Sieg und alles, was darauf folgte. „Ich war nicht zu jung zum Gewinnen, wie man mir das beinahe vorwarf. Auf jeden Fall hat mich das nicht daran gehindert, danach noch weitere Rennen zu gewinnen. Es gab einfach noch Stärkere als mich, so einfach ist das. Ich bedaure heute bloss, dass ich in diesem Moment das Ausmass dessen, was ich geschafft hatte, nicht begriff. Die Tour zu gewinnen war für mich einfach ein weiterer Sieg. Für mich war das keine Heldentat. Alle um mich herum sprachen zwar so darüber, aber ich hörte nicht zu. Komischerweise bin ich noch nie anders in Paris angekommen als auf dem Fahrrad über die Ziellinie der Tour. Heute träume ich davon, als Tourist nach Paris fahren, aber nicht aus sentimentalen Gründen, sondern weil ich etwas Neues entdecken möchte.“
Braungebrannt und strahlend steht Ullrich heute fitter da, als wenn er jeweils mühselig die Pfunde vor der Tour loswerden musste. „Ich fahre nicht mehr Rad. Warum nicht? Die sind ja eh alle gedopt“, meint er vergnügt. „Nein, im Ernst:. Der Radsport ist nach wie vor meine Leidenschaft, aber ich fahre nur etwas Mountainbike in den Bergen bei Davos, wo ich mir eine kleine Alphütte gekauft habe. Dorthin ziehe ich mich zurück; dort bin ich weit weg von all den Problemen, die die Welt hier unten beschäftigen.“
In der Druckkammer, die er damals bei sich zuhause im Keller hat installieren lassen, trocknet heute die Wäsche. „Wenn ich mir überlege, was das gekostet hat! Ein luxuriöser Waschkeller... Aber gut, es erinnert mich an die Zeiten, die ich schwitzend hier verbracht habe, um an der Tour de France der Beste zu sein.“ Er hat nicht vor, im Juli viel Zeit vor dem Fernseher zu verbringen. „Ich werde mir nur die grossen Etappen anschauen. Bei den deutschen Sendern ist das Problem, dass ich meinen Namen wohl öfter zu hören bekommen würde, als die der Fahrer. Ich habe mir angewöhnt, den Ton auszuschalten. Und ich werde ihn auch erst wieder anschalten, wenn ich etwas in Vergessenheit geraten bin.“ In seinem Worten schwingt kein Ärger mit, bloss ein Gefühl der Ungerechtigkeit. „Mit der Zeit werden die Leute sicher merken, dass man von mir nichts zu erwarten hat. Ich habe nichts zu sagen, meine Karriere ist beendet. Ich bin einfach nur Jan Ullrich, ein Bürger wie jeder andere auch.“ Der Deutsche hat sich also entschieden, das letzte Ereignis seiner Karriere nicht zu kommentieren: die Affäre „Puerto“, in die er über Zeugenaussagen und gewisse Beweise immerhin verwickelt ist. Er bleibt lieber im Hintergrund, wobei er seinen Namen nach wie vor für Geschäftszwecke einsetzt (z.B. für eine Kleiderlinie und eine Fahrradmarke), besonders aber für eine Deutsche Vereinigung, die Kindern im Krankenhaus eine adäquate Schulbildung ermöglicht. „Ich kenne Eltern mit einem krebskranken Kind“, wie er sagt. „Das sind ganz schreckliche Momente. Schon als ich noch aktiv war, schwor ich mir, dass ich mich in diesem Bereich engagieren würde und auf meine Weise und nach meinen Möglichkeiten solchen Menschen in ihrem Schmerz helfen möchte.“ Es fällt ihm schwer, seiner Vergangenheit – den negativen wie den positiven Erlebnissen – den Rücken zu kehren. Immer wieder schweift er während der Diskussion ab und erzählt seiner Frau Sara, wie er an einem bestimmten Tag dieses oder jenes Rennen gewann. Für jemanden, der sich von seinem Beruf verabschiedet zu haben scheint, ist sein Erinnerungsvermögen unglaublich präzise. Doch er will kein grosses Aufheben darum mehr machen.
PHILIPPE LE GARS
Der einzige unter den „Neun von Strassburg“, der zurückgetreten ist
Unter den neun Fahrern, die im vergangenen Jahr einen Tag vor dem Start der Tour de France in Strassburg unter grossem Getöse ausgeschlossen wurden, weil ihnen vorgeworfen wurde, in den Dopingskandal um die Operation „Puerto“ verwickelt zu sein, ist Jan Ullrich der Einzige, der seinen Rücktritt erklärt hat.
Sergio Paulinho und Alberto Contador sind sehr bald mit „weisser Weste“ wieder gefahren, und Allan Davis rollt seit vergangenem Winter bei Discovery Channel. Isidro Nozal (bei Karpin-Galicia), Oscar Sevilla und Francisco Mancebo (Relax-Garn) haben bei Continental Pro Teams in den hinteren Reihen wieder Platz gefunden. Ivan Basso wurde vor kurzem nach seinem Geständnis für zwei Jahre gesperrt (und für vier Jahre von der Pro Tour ausgeschlossen). Er trainiert weiter mit der festen Absicht, 2009 wieder in das Peloton zurückzukehren. Und schliesslich Joseba Beloki: Er stand in Verhandlungen mit dem Team Astana, die allerdings wegen der Ermittlungen im Zusammenhang mit der Operation „Puerto“ abgebrochen wurden. Er ist auf Standby und trainiert auch in der Hoffnung, „[seine] Karriere auf einem Rad zu beenden.“
«Nein, ich bin nicht überheblich! »
JAN ULLRICH
Nach dem offenen Gespräch, das wir vorgestern veröffentlich hatten, ist Jan Ullrich in seinem Heimatland heftig angegriffen worden. Er findet, zu Unrecht und möchte eine Erklärung abgeben.
«Ich habe mich entschieden, in einer ausländischen Zeitung über mein neues Leben zu sprechen, und zwar weil die deutsche Presse sich gegen mich verbündet hat. Ich war wirklich enttäuscht zu sehen, dass es nach dieser Reportage in L’Équipe wiederum Leute gegeben hat, die etwas zu kritisieren hatten. Ich wollte weder die Deutschen noch meine Fans schockieren. Seit zwei Tagen versucht man in Deutschland, mich als jemanden darzustellen, der ich nicht bin. Nein, ich bin nicht überheblich! In diesem Interview wurde ich missverstanden, als wir vom Geld sprachen. Wenn ich sage, ich bin glücklich, ist das natürlich nicht des Geldes wegen. Daran habe ich keine Sekunde gedacht. Mein Glück hat überhaupt nichts mit Geld zu tun, sondern mit meiner Familie, meiner Frau, meiner Tochter und mit dem Baby, das wir erwarten. Es ist nicht Geld, das mich in meinem Leben antreibt, ich rede nie darüber. Ich wollte einfach nur darstellen, dass ich völlig unabhängig bin, von niemandem etwas erwarte und vom Radsport nichts verlange. Ich will mit diesen Geschichten niemanden mehr stören. Ich bin in der Lage, mein Leben so zu leben, wie ich es möchte. Ausserhalb von Deutschland hat man das begriffen. Ich weiss auch, dass ich in Frankreich immer noch als echter Champion angesehen werde. Die Zeit wird noch kommen, wo ich mich ausführlicher über alles, was geschehen ist, äussern werde. Die Tour de France ist zu wichtig, um sie mit all diesen Geschichten zu belasten. Die Fahrer, die auf ihrem Rad leiden, müssen respektiert werden.» – P. L. G.